Thomas Karbowniczek
Physiotherapeut und Journalist
Halt die Ohren steif!
Physiotherapeutische Möglichkeiten beim Stiff-Person-Syndrom (SPS)
Das „Stiff-Person-Syndrom“ (SPS; früher geschlechtsspezifisch „Stiff-Man-Syndrome“) bezeichnet eine seltene neurologische Autoimmunkrankheit. In Deutschland sollen rund 100 bis 150 Personen betroffen sein. Charakteristisch ist die generalisierte Tonuserhöhung der Muskulatur vom Nacken über den Rumpf bis zu den Extremitäten. Diese führt a la longue zu strukturellen Veränderungen der Muskulatur sowie zu Gelenkdeformitäten. Folge sind Gangstörungen und damit verbunden eine erhöhte Sturzgefahr. Diese Behinderung der täglichen Aktivitäten führt bei den Betroffenen nicht selten zu massiven Ängsten. Nervöse Anspannung wiederum fördert eine weitere Verstärkung der Muskelspasmen. Ein Teufelskreis aus körperlichen und seelischen Beschwerden entsteht. Physiotherapie kann – so sie patientenspezifisch und wohldosiert angewandt wird – helfen, dieser Aussichtslosigkeit zu begegnen und den Betroffenen motivieren, aktiv zu bleiben und am sozialen Leben teilzuhaben.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) bezeichnet in ihren Leitlinien zum SPS aus dem Jahr 2012 Krankengymnastik als „meist hilfreich“, weist gleichzeitig aber warnend darauf hin, dass sich bei starker Stimulus-Sensitivität die Symptome verstärken können. Gleichzeitig, so das ernüchternde Fazit der DGN, sei eine Verhaltenstherapie gegen die Angstattacken „meist“ nutzlos. Folglich wird das Stiff-Person-Syndrom in der Regel medikamentös mit Immunsuppressiva und Antispastika therapiert.
Da die motorische, orthopädische, vegetative und neuropsychiatrische Symptomatik bei SPS-Patienten individuell in Erscheinung tritt, kann es für die Physiotherapie dieses seltenen neurologischen Krankheitsbildes kein Patentrezept geben. Im vorliegenden Fall wurde eine Patientin 52 Jahren von Therapeuten einer Praxis bei Regensburg seit 10 Jahren symptomspezifisch und individuell therapiert. Im 1997 wurde das SPS bei der Patientin zum ersten Mal diagnostiziert. Die Patientin setzt sich aktiv mit ihrer Krankheit auseinander, ist zumeist motiviert, und sie engagiert sich im bundesweiten Netzwerk von Selbsthilfegruppen. Ihre Compliance kann als sehr gut bezeichnet werden.
Im Folgenden wird kurz eine Auswahl krankengymnastischer Maßnahmen angeführt. Diese Maßnahmen fungieren als „Bausteine“ einer langwierigen und die Patientin begleitenden Therapie. Für die Anwendung der einzelnen Therapie-Bausteine gibt es keinen stringenten Plan; es wird ausschließlich patientenspezifisch und der augenblicklichen Befindlichkeit der Patientin angepasst therapiert. Dieses Procedere hat sich nach den ersten Behandlungseinheiten als positiv herauskristallisiert und wurde von der Patientin auch so befürwortet.
Spastik im primären Fokus
Im primären Fokus der SPS-Therapie stand die motorische, durch die Spastizität bedingte, Problematik der Patientin. Dieser wurde mit tonussenkenden Maßnahmen von der Massage über passives/aktives-assistives/aktives Bewegen bis hin zur primär entstauenden Manuellen Lymphdrainage begegnet. Massagen wurden in der Regel langsam und sanft ausgeführt. Reizgriffe und eine Irritation von Bindegewebszonen sind zu vermeiden. Passives oder auch aktiv-assistives/aktives Bewegen – hierzu kann auch der Schlingentisch zum Einsatz kommen – ist gelenkschonend, wirkt auf Grund des Gate-Control-Effektes analgetisch und fördert die Gelenktrophik, um Bewegungseinschränkungen durch Verklebungen des Kapsel-Band-Apparates zuvorzukommen. Die Manuelle Lymphdrainage imponiert neben dem entödematisierenden Effekt v.a. mit ihrer sympathikolytischen (Entspannung der Patientin), schmerzlindernden (Gate-Control-Effekt) und tonussenkenden Wirkung auf die Skelettmuskulatur.